Strategien gegen rechte Stimmen im Netz und neue Wege der politischen Kommunikation
Abstract:
TikTok als Bühne für rechte Strategien? Oder doch lieber als demokratischer Spielplatz? Beim polbi-Event am 21. November 2024 tauschten sich Parteien, NGOs und Expert:innen über Wege aus, demokratische Inhalte auf Social Media zu stärken. Mit Insights von Online-Marketing-Berater Nicolai Fleckenstein wurde klar: Kreative Ansätze, strategische Netzwerke und der kluge Einsatz von KI sind der Schlüssel für wirksame politische Kommunikation. Ein digitales Follow-up am 16. Januar 2025 lädt alle Interessierten zur Vertiefung ein.
Auftakt: Checken wir zuerst den Herzschlag
Am 21. November 2024 boten wir Vertreter:innen verschiedener Hamburger Parteien und zivilgesellschaftlicher Organisationen einen digitalen Raum für Austausch zum hochaktuellen Thema: “Politik auf TikTok: Wie demokratisch antworten auf rechte Strategien im Netz?”
Mit dem Experten für digitale Kommunikation Nicolai Fleckenstein führten wir eine lebhafte Diskussion rund um Fragen zur Politik in den Sozialen Medien. Das Event erfüllte seinen Zweck: Es entwickelte sich ein kritischer, respektvoller Austausch auf überparteilicher Ebene, der allen wertvolle Impulse, Ideen und neues Fachwissen mit auf den Weg gab.
Wie geht es zurzeit den Parteien auf Instagram und Co? Als Einstieg ins Thema lieferte uns polbi-Mitglied Friederike Müller eine Übersicht zu den aktuellen Auftritten der Hamburger Parteien in den klassischen Sozialen Medien Instagram, Facebook und TikTok. Wir sahen schnell: Follower:innenzahlen, Posting-Frequenz und Themenwahl klafften teils weit auseinander. Die Grünen Hamburg etwa führen auf Instagram; die AfD Hamburg liegt auf Facebook und TikTok mit weitem Abstand vorne.
Verstehen wir dann die Mechanismen
Nach diesem Einstieg folgte der Vortrag von Nicolai Fleckenstein, Gründer des ideenstudio Berlin und Digital-Marketing-Dozent. Er setzte an der Frage an, warum die AfD gerade auf TikTok so erfolgreich ist und so viel mehr Interaktionen, Views, Klicks bekommt und natürlich eine beträchtliche Anzahl Follower:innen erreicht. Ausgehend von der Prämisse, dass die sozialen Medien nun einmal zu unserem Leben und Wirken in dieser Welt dazu gehören und wir die Augen vor diesen Kanälen nicht verschließen oder „einfach nicht mitmachen“ können, klärte Nicolai in seinem kurzen Format umfassend zu den Mechanismen und Effekten der Algorithmus-Logik auf, die stark auf Interaktion beruht. Er betonte, wie wichtig es sei, Netzwerke zu bilden, demokratische Inhalte anderer zu teilen, rechte Hashtags und Kampagnen zu kapern und die eigene Zielgruppe direkt anzusprechen und direkt einzubinden.
Hier seht ihr auf YouTube den Mitschnitt von Nicolai Fleckensteins Vortrag „Politik auf TikTok”. Das PDF-Skript zum Video erhältst du unter info@polbi-hamburg.de.
Blitzlichtgewitter: Stellen wir die kritischen Fragen
In 2-minütigen Blitzlichtern berichteten alle über ihre Erfahrungen und Herausforderungen, die sie mit den Präsenzen ihrer Organisationen und Parteien in den Sozialen Medien haben. Die einzelnen Wortmeldungen im Überblick:
Hannah Arthur (SPD Bergedorf) zeigte auf ihrem TikTok-Account, wie sie politische Inhalte für eine junge Zielgruppe gestaltet. Über eine Kooperation mit dem Hamburger Künstler Booz und dessen AfD-Kampagne (Afrikaner für Deutschland) erreichte sie Zielgruppen, in deren Feeds ihre Beiträge normalerweise nicht landen. Liam Zergdjenah (CDU Hamburg) betonte, dass Parteien unter dem Beschluss des Meta-Konzerns, politische Inhalte einzuschränken, seit Februar 2024 besonders auf neue Strategien angewiesen seien. Und Florian Kasiske (Die Linke Hamburg) machte klar, dass Politik stärker auch im nicht-digitalen Raum gemeinsame Wege gegen rechtspopulistische Haltung finden müsse.
Besonders haben wir uns gefreut, mit dem Landesjugendring Hamburg e.V., dem ASta der Uni Hamburg und der Flüchtlingshilfe Harvestehude e.V. junge und zivilgesellschaftliche Organisationen dabei zu haben, die Wissen und Erfahrungen geteilt haben. Hannah Knipper (Landesjugendring Hamburg) machte dabei auf das enge Finanzkorsett von NGOs aufmerksam, die zumeist keine Gelder für Öffentlichkeitsarbeit erhalten. Auch Jonas Evers (AStA Uni Hamburg) bekräftigte diese Herausforderung, doch versicherte, der AStA sehe sich in der Verantwortung, auf TikTok künftig präsent zu sein. Simone Zander (Flüchtlingshilfe Harvestehude) erinnerte daran, dass NGOs keine Parteiinhalte teilen dürfen und aufgrund des Gemeinnützigkeitsgesetzes generell in ihren politischen Äußerungen eingeschränkt seien. Sie sieht Potenzial im Engagement privater Accounts.
Diskussion: Finden wir neue Antworten miteinander
Die in den Blitzlichtern aufgeworfenen Fragen vertieften wir an ihren Kristallisationspunkten in der abschließenden Diskussion. Nicolai teilte seine Gedanken dazu und es entspann sich ein reger Austausch jenseits aller Partei- und Organisationsgrenzen.
Gemeinsam entdeckten wir: Wir haben alle ganz ähnliche Probleme, da wir das gleiche Anliegen haben, nämlich demokratisch zu handeln. Vielleicht war es auch dieser Spirit, der die Abschlussrunde so fruchtbar machte. Anstatt über Abgrenzungen zu streiten, suchten wir nach Lösungen für Probleme, die wir alle teilten. Hier ein Querschnitt zu den Fokusthemen, die sich im Laufe des Events eröffneten:
Fokus 1: Knappe Ressourcen
Öffentlichkeitsarbeit erfordert Ressourcen für Sichtbarkeit. Stellen, Infrastruktur, Schulungen und intuitive Tools helfen, begrenzte Mittel bestmöglich zu nutzen.
Menschen in der Öffentlichkeitsarbeit müssen sich dafür stark machen, dass Ressourcen für Sichtbarkeit bereitgestellt werden. Es müssen Stellen geschaffen, die technische Infrastruktur bereitgestellt und Fachwissen in Schulungen ausgebaut werden. Um die derzeit stark begrenzten Ressourcen bestmöglich zu nutzen, lohnt es sich, sich über Tools auszutauschen und vielleicht eine Sammlung von Tools bereitzustellen, die besonders leicht und intuitiv zu bedienen sind, wie etwa CapCut fürs Video-Editing.
Fokus 2: Qualität oder Quantität
Erfolgreiche Kommunikation setzt auf Qualität: Zielgerichteter Content und Interaktion sind entscheidend. Eine gute Strategie ist entscheidend.
Wir alle kennen sie, die Channels, die täglich oder sogar öfter irrelevante Inhalte posten und dabei User-Zuwächse verzeichnen. Erste Frage: Sind sie trotzdem erfolgreich? Oder deswegen? Nicolais Antwort: Definitiv geht es bei der demokratischen Kommunikation um Qualität. Random Posts, die nicht auf die Zielgruppe zugeschnitten sind, deren Content nicht durchdacht ist und einer Strategie folgt, bei denen die Vorarbeit fehlt, bringen schlicht nichts. Nur wenn die Posts wichtige Kriterien erfüllen und vor allem die Interaktion mit und unter den richtigen Usern anfachen, helfen sie, eine langfristige Strategie aufzubauen. Unser Learning: Lieber einen oder zwei Kanäle richtig bedienen, anstatt alle ein bisschen.
Doch warum scheint das auf einige Channels nicht zuzutreffen? Die Antwort liegt hier im Status des Accounts. Wer bereits genug Reichweite aufgebaut hat (ebenfalls mit einem funktionierenden Konzept, übrigens), setzt mehr auf Quantität. Accounts, die noch dabei sind, eine Fangemeinde zu finden und aufzubauen, müssen ganz klar auf Qualität und durchdachten Content setzen.
Das beste Beispiel dafür ist Hannah Arthurs Social-Media-Kampagne, die direkt ins Herz der Zielgruppe, also ihrer Wähler:innen traf. Ein kleiner Exkurs griff auf, wie wir bestehende Quantität für uns nutzen können: Warum nicht bekannte Hashtags kapern und sie demokratisch reframen, also in einen neuen, demokratischen Kontext setzen?
Fokus 3: Politik von, mit und für die Gen Z
Junge Menschen wollen mitreden und gestalten. Wir sollten ihre Sorgen und Anliegen kennenlernen und daraus Ansätze fürs demokratische Handeln ableiten.
Junge Leute wollen mitreden. Sie wollen verstehen, was die Gesellschaft um sie herum prägt, und sie wollen die Welt selbst mitgestalten. Anstatt an klassischen Methoden der politischen Öffentlichkeitsarbeit festzuhalten, müssen wir ins Gespräch gehen und herausfinden, welche Sorgen, Probleme, Gesprächs- und Gestaltungsanlässe jüngere Generationen haben. Hannah Arthur macht es mutig vor und wir sollten aufmerksam zuhören, um zu verstehen, was junge Menschen heute brauchen, um ins demokratische Handeln zu kommen.
Fokus 4: Regionale Zielgruppen erreichen
Algorithmen können durch geografische Angaben und lokale Netzwerke gezielt trainiert werden. Dafür müssen wir die Mechanismen der einzelnen Kanäle verstehen.
Es bietet sich an, die Algorithmen zu trainieren. Nennen wir unsere Wirkungsorte in den Metaangaben unserer Accounts auf TikTok, fügen wir den entsprechenden Standort in jedem einzelnen Post hinzu, schaffen wir einen lokalen Kontext durch Erwähnungen und Netzwerken mit anderen Lokal-Playern, schärft sich der Algorithmus geografisch ein und bedient die richtigen Bubbles, in denen unsere Community auch unterwegs ist. Hier ist also Recherche- und Netzwerkarbeit gefragt. Und eingehendes Verständnis für die Wirkweise des kanaleigenen Algorithmus.
Fokus 5: Künstliche Intelligenz
Mit präzisen Analysen, Trendprognosen und teils selbstständigen Automatisierungen beschleunigt die KI die Fortentwicklung von Social Media immens. Ständiges Lernen ist da Voraussetzung.
Auch das bedeutet die Arbeit mit Social Media: Was heute richtig ist, kann morgen schon wieder in anderen Themen aufgehen. Die KI schüttelt uns noch einmal gehörig durch und wird auch die Landschaft der sozialen Medien neu gestalten. Indem eine eingebundene KI das Nutzerverhalten noch akkurater ausliest, Postings automatisiert sowie frühzeitig Trends erkennt und sie selbstständig bedient, können wir rasend-schnelle Entwicklungen erwarten, die uns abhängen, wenn wir nicht am Ball bleiben und stetig lernen – ganz besonders in der schnelllebigen TikTok-Welt.
Fazit: Snackable Content auf alle Kanälen
Was macht die politische Öffentlichkeitsarbeit in den sozialen Medien aus? Nicolai Fleckenstein brach die Herausforderungen treffend herunter:
“Frank-Walter Steinmeier sagte einmal: ‚Demokratie ist Politik in Langform‘. Wie geht das mit snackable Content-Bedürfnissen zusammen?”
In diesem Event wurde eines deutlich: Allein die klassischen Wege der politischen Öffentlichkeit zu bedienen, reicht heute nicht mehr. Es müssen neue Wege der politischen Kommunikation gefunden werden. Dass dies keineswegs zu einer Aushöhlung der Botschaften führen muss, sondern tatsächlich die Massen bewegen kann, sahen wir am Beispiel der Engagierten. Um starke Social-Media-Strategien zu finden und unsere Communitys zu erreichen, dürfen und müssen wir also kreativ werden und einfach mal etwas ausprobieren. Könnte ja gut ankommen.
Zugabe:
Noch mehr Antworten zu Politik auf TikTok und Co.
Das rege Interesse im Vorfeld machte uns schnell klar: Bei diesen brisanten Themen ist Vertiefung gewünscht. Daher freuen wir uns sehr, euch mitteilen zu können, dass es zu unserem erfolgreichen Event ein digitales Follow-up geben wird. Am 16.01.2025 von 17:30 bis 18:30 Uhr könnt ihr weitere Fragen zur politischen Arbeit in den sozialen Medien stellen. Egal ob ihr bei diesem Event dabei wart, oder nicht. Bringt eure Fragen mit. Und eure interessierten Freunde und Bekannten sowieso. Nicolai steht uns dankenswerterweise ein weiteres Mal mit seiner Fachexpertise zur Verfügung, sodass wir im gemeinsamen Austausch neue Antworten finden können. Hier meldet ihr euch an. Wir freuen uns wieder auf regen Austausch und viele spannende Ideen!
Wir sagen DANKE
Für dieses erfolgreiche Event danken wir herzlich Nicolai Fleckenstein, der seine ehrenamtliche Zeit für Beratung und Diskussion mitgebracht hat! Und wir danken dem AKTIVOLI-Landesnetzwerk e.V. für die Bereitstellung der technischen Infrastruktur und dem Haus des Engagements für den Coworkingplatz und die vielen kostenfreien Beratungsangebote für Engagierte, die wir als ehrenamtliche Initiative nutzen dürfen.
Über Nicolai Fleckenstein
Nicolai Fleckenstein aus Berlin ist freiberuflicher Online-Marketing-Berater mit Schwerpunkt Social Media und Search Engine Optimization (SEO) und hat das ideenstudio berlin gegründet. Parallel ist er seit über 10 Jahren an verschiedenen Institutionen als Dozent tätig, z.B. für die öffentlich-rechtliche Medienanstalt Berlin Brandenburg. Darüber hinaus engagiert er sich selbst politisch, hauptsächlich im Bereich Verkehrspolitik – aber auch im Einsatz gegen Rechtsextremismus.
Über polbi hamburg
polbi – das steht für politische Bildung. Wir machen mit interaktiven Angeboten politische Prozesse verstehbar. Durch sie lernen wir und unsere Mitmenschen, kritisch zu denken, verschiedene Perspektiven zu bewerten und Entscheidungen selbstbestimmt zu treffen. Auf die Frage: “Wie können Bürger:innen aktiv werden – und zwar so, dass es Spaß macht?”, antworten wir: “Austausch fördern, Politikbewusstsein bilden und Engagement stärken.”
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